Der Schussel!

 

Als Paul morgens noch im Bett lag stand er bereits neben sich, hatte noch leicht einen sitzen und merkte gar nicht, dass er schon wach war. Nachdem der Wecker eine Stunde vergeblich versucht hatte ihn zu erreichen, gab dieser seine erfolglosen Bemühungen unter großer Anteilnahme der übrigen Hausbewohner auf. Doch dann fand Paul endlich aus seinem Nest, steuerte geradewegs auf den Kühlschrank zu, öffnete die Tür, wusste aber nicht mehr warum. Da war es auch egal, dass dieser, bis auf ein Glas Senfgurken, genauso wenig zu bieten hatte wie sein Kopf und sein Magen. Sein nichtssagender Blick berührte gerade die Obstschale, und er sah sich einer faulen ausgehöhlten Birne gegenüber, welche einen Vergleich mit dem Aussehen und der Leistungsdichte seines Gehirns in allen Belangen standhielt. In diesem Augenblick meldete sich sein Magen und zwar so laut, dass selbst Paul, von dem seine Kollegen sagen, er sei die größte Taubnessel weit und breit, dieses Geräusch nicht überhören konnte. Er öffnete erneut den Kühlschrank. Nachdem das Gurkenglas zuvor noch den reinen Blickkontakt unbeschadet überstanden hatte, weigerte es sich diesmal umso mehr, seinen Händen schutzlos ausgeliefert zu sein und entschloss sich spontan diese so schnell wie möglich zu verlassen. Ohne jeglichen Lärm zu vermeiden krachte es auf den Boden, verteilte seinen Inhalt weit verzweigt im unteren Küchenbereich und vergaß dabei auch nicht Paul’s Käsefüße mit einer gehörigen Portion Gurkensaft zu verfeinern. „Sauerei“, dachte er sich und hatte aber anschließend keine Mühe, mit dieser Feststellung den ersten Volltreffer des Tages für sich zu verbuchen. Als Paul gerade den Küchenschrank öffnete um eine Küchenrolle zu entnehmen, näherte sich im Sturzflug eine aufgeschnittene Milchtüte, welche jedwede Berührungsangst vermissen ließ und seinen ohnehin schon lächerlichen Nachtfrackel in ein triefendes Etwas verwandelte. Es roch jetzt streng nach Senfgurkenmilch. Die Küche bot einen Anblick der ausgereicht hätte, um bei einer in dieser Richtung oft geprüften und hartgesottenen Hausfrau einen Blutstau im Gehirn zu verursachen. Sie würde die Stätte des Grauens so schnell wie möglich verlassen, um anschließend unter der Anteilnahme gleichgesinnter Leidensgenossinnen heulend in der Weinstube Zuflucht zu suchen, die der Wirt freundlicherweise ihrer Selbsthilfegruppe zur Verfügung gestellt hat. Doch Paul war anders. Er war sofort bereit Gegenmaßnamen einzuleiten. Mit Scheuerlappen und Eimer wollte er gerade dem Übel zu Leibe rücken, als ein Gedanke seinen aufgeweichten Keks erreichte. Paul schaute zur Uhr und hatte dann keinen Zweifel. „Ich komme zu spät zur Arbeit“ dachte er sich, nahm seine Aktentasche und rannte in den Hausflur. Als ihm klar wurde, dass er vergessen hatte sich umzuziehen und er wieder umkehren wollte, fiel die Tür ins Schloss. Im selben Augenblick bekam sein Spatzenhirn die Meldung „Schlüssel steckt von innen“! Paul setzte sich auf eine Treppenstufe und wollte gerade die Nachricht verarbeiten, da hörte er Schritte im Treppenhaus. Nun hatte er aber keine Zeit mehr sein Wahnsinns-Outfit entscheidend zu verändern. Er kratzte sich am Kopf und sah sich im selben Augenblick seiner Nachbarin gegenüber, die ihn von oben bis unten ungläubig ansah, da sie mit einem in jeglicher Hinsicht seltsam gekleideten und übel riechenden Herrn um diese Zeit offensichtlich nicht gerechnet hatte. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass sie ihm nur einen schönen Sonntag wünschte, um danach die ersten hundert Meter in einer Zeit zurückzulegen, von der Marita Koch in ihrer Blüte nicht einmal zu träumen wagte. Bei ihrer Flucht brachte sie mit ihren Klapperschuhen, begleitet von zwei Hilferufen, den übrigen Hausbewohnern einen akustischen Leckerbissen zu Gehör, den sie mit einem lauten Knall ihrer Wohnungstür abschloss. Unter schamloser Ausnutzung der Hellhörigkeit des Hauses, konnten alle, ohne auch nur einen Cent dafür bezahlt zu haben, diesem gelungenen Gesamtkunstwerk beiwohnen. Doch Paul war jetzt alles egal. Er freute sich dass er nicht zur Arbeit musste, da ihm ja seine Nachbarin verraten hatte das heute Sonntag ist, spendete sogar noch Applaus und dachte sich, „wenn alle im Haus klatschen, kann ich das auch“!

                                                                                                                H.S.

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