(Märchen, für ältere-und erwachsene Kinder)

 

Rotkäppchen und der vegetarische Wolf

 

Es war einmal ein Wolf, der hieß Reiner! Er war ein wenig anders als die meisten seiner Art. Vor Jahren hatte Reiner mal eine Großmutter mit Klamotten und ein total versalzenes Geißlein gefressen. Weil es ihm danach so richtig dreckig ging, stellte er seine Ernährung komplett auf pflanzliche Kost um. Da ihm aber nun wichtige Vitamine fehlten, die ein Wolfskörper nun mal braucht, war sein Hirn schon ein kleines bisschen ausgetrocknet!

 

Eigentlich wollte Reiner nur in den Wald laufen, um Erdbeeren zu fressen, die mag er nämlich ganz besonders gern. Doch leider wusste er nicht mehr, wo die leckeren Dinger zu finden sind. Er hatte sich verlaufen und stand plötzlich vor einer großen Burg mit riesigem Turm, schaute hinauf und rief: „Parunzel, lass dein Haar herunter!“- „Das heißt Rapunzel, du Dussel!“- „Rapunzel, Parunzel, Rupanzel, das ist doch egal!“ „Ist es nicht, außerdem bin ich das Rotkäppchen. Rapunzel ist nicht zuhause, sie ist beim Meckiputzer und will sich dort einen Igelschnitt verpassen lassen!“ – „Einen Igelschnitt? Das kannst du deiner Großmutter erzählen, die glaubt sowieso alles! Neulich sah sie meine Rute und dachte ich sei der Weihnachtsmann. Die habe ich gefressen, die Alte!“ – „Was hast du, sie gefressen?“ – „Nein, ich sagte vergessen!“ – „Du hast gefressen gesagt und jetzt willst du mich zum Nachtisch! Wer bist du überhaupt?!“ – „Du brauchst keine Angst zu haben! Ich heiße Reiner, bin reiner Vegetarier und fresse schon lange kein Fleisch mehr.“ – „Na gut, wenn das so ist, komme ich jetzt zu dir runter.“ Das gutgläubige Rotkäppchen lief die Burgtreppe hinunter, dem Wolf genau in die Pfoten. – „Da bist du ja, Rotkehlchen!“ – „Rotkäppchen heiße ich!“ – „Ist mir egal wie du heißt, ich werde dich jetzt fressen.“ – „Nimm sofort deine Klopfoten weg, du Vollpfosten!“ Plötzlich, eine Stimme: „Hallo Rotkäppchen!“ –„ Oma, bist du das?“ – „Yep!“ – „Wo steckst du denn?“ – „Ich bin im Bauch des Wolfes. Hol mich bitte raus, es ist so dunkel hier drin. Oder lauf schnell zum Jäger, der wird ihm eins auf den Pelz brennen.“ – „Das kann ja wohl nicht wahr sein, Reiner! Du bist so ein verlogener Scharlatan. Aber warte nur, bis der Jäger kommt, er wird dir das Fell über die Ohren ziehen!“ – „Oh, bitte nur das nicht, ich friere immer so schnell!“ – „Dann würgst du sofort meine Oma wieder hoch!“ – „Das brauche ich nicht, weil ich sie gar nicht gefressen habe. Um dir ein bisschen Angst einzujagen, habe ich meine Stimme verstellt und die deiner Oma nachgemacht. Ich bin nämlich nicht nur Vegetarier, sondern auch Bauchredner!“ – „ Du alter Schweinepriester, du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Aber sag mal Reiner, warum magst du denn kein Fleisch?“ – „Davon bekomme ich immer Wanstrammeln. Darum ernähre ich mich ausschließlich von Pflanzen,  Beeren, Wurzeln und so Zeugs. Was hast du denn da schönes in deinem Korb, Rotkäppchen?“ Der Wolf schaute hinein und sprach: „Mmm, leckere Erdbeeren und gleich so viele! Da brauche ich mich ja nicht zu wundern, dass ich im Wald keine mehr gefunden habe!“ „Möchtest du welche essen? Du kannst ruhig zugreifen, es sind noch genug da.“

 

Plötzlich stand Rapunzel vor ihnen und beide erstarrten voller Entsetzen. „Wie siehst du denn aus?“, fragte Rotkäppchen. Und der Wolf: „Wo hast du denn deine schönen langen Haare gelassen?“ – „Blöde Frage, beim Friseur natürlich, wo denn sonst!“ Rotkäppchen und Reiner schauten sich an und mussten dann so laut lachen, dass der Jäger, der die ganze Zeit im Unterholz geschlafen hatte, davon wach wurde. Er rieb sich die Augen, sah Rapunzel und dachte, sie sei ein wildes Tier. Der Jäger nahm seine Flinte und feuerte einen gezielten Schuss ab. Da kein Scheunentor in der Nähe war, flog die Kugel an Rapunzels Kopf vorbei und krachte in das Burgtor. „Halt! Nicht schießen, das ist doch Rapunzel!“, rief der Wolf. Und der Jäger antwortete: „Das glaubst du doch selber nicht!“ – „Doch, das ist sie wirklich!“, rief Rotkäppchen. „ Wir können ab heute aber auch Rapunz-Igel sagen!“ Darauf folgte ein Gelächter, das Teile der Burgmauer zum Einsturz brachte. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lachen sie noch heute!

 

H.S.

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