Zurück zur Natur!

 

Die 13-jährige Tochter sitzt mit voller Headset-Ausrüstung vor ihrem Laptop und unterhält sich mit gleichgesinnten Usern im Netz. Ihr ständiges Gegackere erinnert die Mutter an eine nicht ganz unwesentliche Hauptsache. „Laura, du hast soeben durch dein Lachen das Hartwerden der Frühstückseier verhindert!“, ruft sie aus der Küche. „Vielen Dank für deine Hilfe!“ Doch ihre Danksagung verhallt in der Tiefe des Universums. Sie konnte auch nicht bis zur Tochter vordringen, da diese sich gerade in einem anderen Sonnensystem befand. Eine Rückmeldung von dort hätte sowieso Lichtjahre in Anspruch genommen. Stattdessen hört man nur wieder dieses Gekicher und Gegackere. Ob alle Kinder so glücklich sind, denkt sie sich und geht ins Wohnzimmer. Da ist sie wieder, die typische Hoffentlich-spricht-sie-mich-jetzt-nicht-an-Reaktion. Lauras Augen wandern dabei immer zwischen Laptop und Nebensache hin und her. Jetzt gibt die Mutter ihr ein Handzeichen und wartet bis Miss Userin Gesprächsbereitschaft signalisiert. Dann sagt sie: „Frühstück ist fertig!“ Und die Tochter antwortet: „Ich habe aber noch gar keinen Hunger!“-„Es wird etwas gegessen und zwar gleich!“- „Wo essen wir denn?“- „In der Küche! Ich habe schon den Tisch gedeckt, du brauchst dich nur noch hinzusetzen!“ –„Ich komme gleich, in 5 Minuten!“- „Dein Vater kommt auch gleich in einer Minute und kassiert deinen Laptop ein, und zwar für 7 Tage!“ Wie grausam können doch Eltern sein, denkt sich Laura und bewegt, um schlimmeres zu verhindern, ihren Hintern missmutig in Richtung Küche. „Na, meine liebe Tochter, haben wir wieder bei einer wichtigen Konferenz gestört?“, sagt der Vater. „Ja!“- „Das heißt „Ist nicht so schlimm, Papa, guten Morgen, hast du gut geschlafen?““- „Ja, Vati!“- „Ich meinte du sollst mich fragen!“- „Also gut, das nächste Mal frage ich dich!“- „Hast du denn gar keinen Appetit auf ein leckeres Frühstück?!“- „Nicht wirklich!“- „Nicht wirklich, was bedeutet das denn? Heißt das so viel wie „Mama und Papa dürfen jetzt ihren Teenager bei der unwirklichen Einnahme des Frühstücks begleiten“?!“- „Ganz schön geschwollen, findest du nicht, Papa?“- „Du sag mal, Laura, meinst du nicht auch, das Laptops, Smart Phones und dergleichen einem normalen Familienleben entgegenwirken?“ – „Nicht zwingend!“- „Nicht zwingend, was heißt das denn wieder?“- „Für mich reicht’s!“- „Uns reicht’s auch irgendwann, dann beginnt für dich eine Laptopfreie Zeit! Zurück zur Natur, kann ich da nur sagen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob du noch weißt, was das ist!“- „Doch, das weiß ich genau! Natur ist die organische und anorganische Welt im Unterschied zur Kultur. Oder aber auch eine Wesensart!“- „Das hat dir sicher Onkel Google erzählt!?“- „Ganz genau so ist es!“- „Es würde aber sicherlich nicht schaden, dir das Ganze mal wieder live anzuschauen, anstatt am Wochenende von morgens bis in die Nacht hinein irgendwelchen sinnlosen userischen Tätigkeiten nachzugehen, die dir obendrein noch den Schlaf rauben, den ein Mädchen in deinem Alter noch dringend nötig hat! Schau dich doch mal an, wie blass du aussiehst. Hauttyp 405 kann ich da nur sagen!“- „Was ist denn Hauttyp 405?“- „Kennst du nicht? Dann schau mal auf die Mehltüten von Kathi!“- „Sehr witzig!“ Da sagt die Mutter: „Ich find’s lustig.  Aber mal im Ernst, Laura, ein bisschen Sonne würde dir ganz gut tun. Wir könnten doch mal wieder zusammen ein schönes Picknick machen!“- „Da sitzt man doch auch nur rum!“- „Eben nicht! Wir nehmen das Rad oder fahren mit dem Auto in den Wald und wandern. Man ist an der frischen Luft und genießt die Natur!“ Um endlich Ruhe zu haben sagt die Tochter: „Genauso machen wir es!“ Und die Mutter sagt: „Iss jetzt bitte dein Ei, bevor es kalt wird! Und der Vater: „Weißt du überhaupt noch, wo die Eier herkommen?“- „Aus dem Supermarkt, nehme ich mal an!“-„Siehst du, da haben wir’s! Und gelegt hat sie die Filialleiterin, oder wer?“- „Papa, du glaubst doch wohl jetzt nicht ernsthaft, dass ich nicht weiß, dass die Eier vom Huhn stammen?!- „Ja, du kennst vielleicht noch ein Huhn. Aber wenn das so weitergeht mit der Abhängigkeit vom Laptop, Smartphone und Co, denke ich gerade an die Folgegenerationen. Die laufen dann vor einem Huhn davon, weil sie es nicht kennen und als Gefahrenherd eingestuft haben!“ –„Jetzt übertreibst du aber wirklich, Papa!“- „Wieso? Wenn man gar nicht mehr das Haus verlässt, nur noch vorm Laptop sitzt, das Leben an einem vorbei  geht, weil man es nicht mehr wahrnimmt und alles um einen herum ignoriert wird, könnte ich mir so was irgendwann einmal vorstellen!“ – „Du hast Recht, Papa! Meine Kinder laufen dann vor den Hühnern davon, meine Enkelkinder vor den Küken und meine Urenkel  vor den Eiern wenn sie sich bewegen bevor die Küken schlüpfen!“ – „Genau so wird’s mal kommen, wenn wir nicht rechtzeitig gegensteuern“, sagt die Mutter. „Also, was ist nun?! Radtour oder Wandertag?“ – „Abenteuer Radwandern“, sagt Laura. „Was ist das denn?“, fragt die Mutter. – „Jeder bekommt ein Messer und ein Fahrrad und begibt sich damit gezielt in Gefahrengebiete, die unsere heimische Natur anzubieten hat!“ – „Und was für Gefahren könnten dort draußen auf uns lauern? Ein bis zwei Dachse oder was?“, sagt der Vater und lacht. – „ Ja, zum Beispiel! Aber das Huhn, weiß ich, gehört nicht dazu!“ – Und der Vater: „Noch nicht!“

                                                                                                                                                              

                                                                                                          H.S.

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